Buchtipp: Menschen führen – Leben wecken

Es gibt heute ein unüberschaubares Angebot an Führungsseminaren. Im Mittelpunkt stehen dabei oft die angewandten Methoden und nicht die Führungskraft an sich. Anselm Grün beschreibt in seinem Buch „Menschen führen – Leben wecken“ genau Letzteres – Führung durch Persönlichkeit.

Basis des Buchs von Anselm Grün ist das Cellerarskapitel aus der Regel des heiligen Benedikt, eine ursprünglich als Klosterregel verfasste Schrift aus dem 6. Jahrhundert. Der heilige Benedikt beschäftigt sich in diesem Kapitel mit der Frage, wie jemand beschaffen sein muss, wie jemand an sich arbeiten muss, um führen zu können. Führung durch Persönlichkeit ist für ihn das Wichtigste. Kann dies eine Anleitung für die Führung von Mitarbeitern in heutigen Unternehmen sein?

Zunächst erscheint dies schwierig, zumal uns die verwendete Sprache heute fremd vorkommt. Die erste Brücke in die heutige Unternehmenswelt schlägt Anselm Grün allerdings selbst. Er ist seit vielen Jahren Cellerar, der wirtschaftliche Leiter eines Klosters. Beim Thema Führung orientiert er sich an der Regel des heiligen Benedikt und versucht mit seinen Mitbrüdern und den ca. 270 Mitarbeitern verantwortlich umzugehen. In diesem Buch übersetzt Anselm Grün die Worte Benedikts in unsere heutige Sprache und leitet aus ihnen passende und aktuelle Bilder ab.

Welche Eigenschaften soll der Verantwortliche haben? Als Grundvoraussetzung wird die harte Schule der Selbsterkenntnis genannt. Menschen, die in sich selber ruhen und ihre Stärken und Schwächen kennen, sind für Führungsaufgaben gut geeignet. Nicht eingestandene Bedürfnisse oder unterdrückte Leidenschaften führen zu einer unklaren Führung. Dabei ist jeder zugleich Führer und Geführter. Die Rollen können abhängig von der Situation durchaus wechseln.

Anselm Grün weist darauf hin, dass Führen nicht bedeutet über andere zu herrschen oder andere klein zu machen. Wer andere klein macht, kann auch nur eine kleine Leistung erwarten. Vielmehr muss der Führende in den Menschen „Leben wecken“, nicht nur die Arbeitskraft, sondern das Potential an Ideen und Kreativität sehen. Es ist die Abkehr von der Frage, was die anderen einem bringen. Gleichzeitig darf sich der Verantwortliche nicht von der Meinung anderer abhängig machen. Ansonsten wird er von den Erwartungen der Menschen geführt, er gibt nicht die Richtung vor.

Interessant ist für mich, wie Anselm Grün bei fast allen Themen aus einer alten Sprache scheinbar die Erfahrung von Generationen herzuleiten vermag. Gut gefällt mir der Begriff des Dienens. Das lateinische Wort für Diener „servus“ meint dabei den Läufer. Der Führende kann zum Beispiel dafür sorgen, dass die Kommunikation gut läuft, dass es emotional zwischen den Mitarbeitern gut läuft. Das griechische Wort für Diener „diakonos“ wiederum meint dem Leben dienen. Der Verantwortliche zeichnet sich dadurch aus, dass er Leben hervorzulocken vermag. Er nimmt sich Zeit für die Mitarbeiter, um das vorhandene Potential zu erschließen.

Ich empfehle das Buch allen, die davon überzeugt sind oder sich überzeugen möchten, dass Führung von Menschen mehr ist als das Anwenden von Methoden.